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7.1 Expertenstandard Dekubitusprophylaxe in der Pflege

7.1 Expertenstandard Dekubitusprophylaxe in der Pflege

Zielsetzung: Jeder dekubitusgefährdete Patient/Bewohner erhält eine Prophylaxe, die die Entstehung eines Dekubitus verhindert.

Strukturkriterien Prozesskriterien Ergebniskriterien

S1 - Die Pflegefachkraft verfügt über aktuelles Wissen zur Dekubitusentstehung sowie über die Kompetenz, das Dekubitusrisiko einzuschätzen.

P1 - Die Pflegefachkraft schätzt unmittelbar zu Beginn des pflegerischen Auftrags systematisch das Dekubitusrisiko aller Patienten/Bewohner ein. Diese Einschätzung beinhaltet ein initiales Screening sowie eine differenzierte Beurteilung des Dekubitusrisikos, wenn eine Gefährdung im Screening nicht ausgeschlossen werden kann.

Die Pflegefachkraft wiederholt die Einschätzung in individuell festzulegenden Abständen sowie unverzüglich bei Veränderungen der Mobilität oder externer Einflussfaktoren, die zu einer erhöhten und/oder verlängerten Einwirkung von Druck und/oder Scherkräften führen können.

E1 Eine aktuelle, systematische Einschätzung des individuellen Dekubitusrisikos liegt vor.

S2a - Die Pflegefachkraft verfügt über die Planungs- und Steuerungskompetenz zur Dekubitusprophylaxe.

S2b - Die Einrichtung verfügt über eine Verfahrensregelung zur Dekubitusprophylaxe.

P2 - Die Pflegefachkraft plant individuell mit dem dekubitusgefährdeten Patienten/Bewohner und gegebenenfalls seinen Angehörigen Maßnahmen zur Dekubitusprophylaxe und informiert die an der Versorgung Beteiligten über das Dekubitusrisiko und die Notwendigkeit der kontinuierlichen Fortführung von Interventionen.

E2 Die Dekubitusgefährdung und die notwendigen Maßnahmen sind allen an der Versorgung des Patienten / Bewohners Beteiligten bekannt und werden kontinuierlich fortgeführt.

S3a - Die Pflegefachkraft verfügt über Fähigkeiten zur Information, Schulung und Beratung des Patienten/Bewohners und gegebenenfalls seiner Angehörigen zur Förderung der Bewegung des Patienten/Bewohners, zur Hautbeobachtung, zu druckentlastenden Maßnahmen und zum Umgang mit druckverteilenden und -entlastenden Hilfsmitteln.

S3b Die Einrichtung stellt das erforderliche Informations- und Schulungsmaterial zur Verfügung.

P3 - Die Pflegefachkraft erläutert dem Patienten/Bewohner und gegebenenfalls einen Angehörigen die Dekubitusgefährdung und die Durchführung von prophylaktischen Maßnahmen und deren Evaluation.

E3 Der Patient/Bewohner und gegebenenfalls seine Angehörigen kennen die Dekubitusgefahr sowie die geplanten Maßnahmen und wirken auf der Basis ihrer Möglichkeiten an deren Umsetzung mit.

S4 - Die Pflegefachkraft verfügt über Wissen zu druckentlastenden und die Eigenbewegung fördernden Maßnahmen und beherrscht haut- und gewebeschonende Bewegungs-, Positionierungs- und Transfertechniken.

P4 - Die Pflegefachkraft fördert soweit wie möglich die Eigenbewegung des Patienten/Bewohners. Sind Eigenbewegungen nicht oder nicht ausreichend möglich, gewährleistet die Pflegefachkraft auf Basis einer individuellen Bewegungsförderungsplanung sofortige Druckentlastung durch die haut- und gewebeschonende Bewegung des Patienten/Bewohners und die vollständige Druckentlastung (Freilage) gefährdeter Körperstellen.

E4 Die Eigenbewegung des Patienten/Bewohners ist gefördert und gefährdete Körperstellen sind entlastet.

S5a - Die Pflegefachkraft verfügt über die Kompetenz, die Notwendigkeit und die Eignung druckverteilender und entlastender Hilfsmittel zu beurteilen und diese zielgerichtet einzusetzen.

S5b - Die Einrichtung stellt sicher, dass dem Risiko des Patienten/Bewohners entsprechende Wechseldruck- und Weichlagerungssysteme unverzüglich zugänglich sind.

P5 - Die Pflegefachkraft wendet zusätzlich zu druckentlastenden Maßnahmen geeignete druckverteilende und -entlastende Hilfsmittel an, wenn der Zustand des Patienten/Bewohners eine ausreichende Bewegungsförderung nicht zulässt.

E5 Der Patient/Bewohner befindet sich unverzüglich auf einem für ihn geeigneten druckverteilenden und -entlastenden Hilfsmittel.

S6a - Die Pflegefachkraft verfügt über die Kompetenz, die Effektivität der prophylaktischen Maßnahmen zu beurteilen.

S6b - Die Einrichtung stellt Ressourcen zur Erfassung von Dekubitus sowie zur Bewertung der Dekubitusprophylaxe zur Verfügung.

P6 - Die Pflegefachkraft begutachtet den Hautzustand des gefährdeten Patienten/Bewohners in individuell zu bestimmenden Zeitabständen.

E6a Der Patient/Bewohner hat keinen Dekubitus.

E6b In der Einrichtung liegen Zahlen zur Dekubitushäufigkeit sowie zu Wirksamkeit der Dekubitusprophylaxe vor.

Tabelle aus: Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (Hrsg.): Expertenstandard Dekubitusprophylaxe, Zusammenfassung der Standardkriterien, 2. Aktualisierung 2017

 

Risikoeinschätzung / Risiko-Skalen zur Ermittlung der Dekubitusgefährdung:

Laut Expertenstandard Dekubitusprophylaxe in der Pflege wurden über 100 Risikofaktoren für die Dekubitusentstehung beschrieben und das Vorhandensein eines Risikofaktors erhöhe die Wahrscheinlichkeit, dass ein Dekubitus auftritt. Die von der Expertenarbeitsgruppe gesichteten verschiedenen Leitlinien (AWMA 2012, KCE 2012, Children´s Hospital 2012, Spinal Cord Medicine 2014, NICE 2014, NPUAP/EPUAP/PPPIA 2014) nennen folgende Risikofaktoren am häufigsten:

  • Schlechter Ernährungszustand
  • Verminderte Aktivität und Mobilität
  • Erhöhte Hautfeuchtigkeit
  • Begleiterkrankungen (z.B. Diabetes mellitus)
  • Verminderte sensorische Wahrnehmung
  • Demographische Variablen (z.B. Alter, Geschlecht und ethnische Zugehörigkeit)
  • Durchblutung und Sauerstoffversorgung der Haut
  • Vorhandener Dekubitus

Der Expertenstandard Dekubitusprophylaxe in der Pflege sagt weiterhin aus, dass vergleichende Untersuchungen zu den Kausalitäten der Dekubitusentstehung darauf hin deuten, dass Immobilität, der Hautzustand/Dekubitus und schlechte Durchblutung einen direkten kausalen Zusammenhang mit der Dekubitusentstehung haben.

Weitere Risikofaktoren, wie z.B. Harn- und Stuhlinkontinenz, Hauttemperatur, Untergewicht, höheres Lebensalter und Diabetes mellitus würden in Kombination mit den kausal direkt wirkenden Faktoren das Dekubitusrisiko erhöhen.

Das Risikoassessment sollte nach Empfehlung des Expertenstandards folgende Aspekte beinhalten: Evaluation der Krankengeschichte, Risikoeinschätzung mit Skalen, Beurteilung des Hautzustandes, Mobilitäts- und Aktivitätsassessment, Erhebung des Ernährungszustandes, Kontinenzbewertung, kognitive Bewertung, Beurteilung extrinsischer Risikofaktoren.

Die Nutzung von Risikoskalen kann dabei unterstützend wirken. Die laut Expertenstandard Dekubitusprophylaxe am häufigsten in den Leitlinien genannten Skalen sind die Braden-, Norton-, Waterlow- und Cubbin-Jackson-Skala.

Braden-Skala 1 Punkt 2 Punkte 3 Punkte 4 Punkte
Sensorische Wahrnehmung
Fähigkeit, adäquat auf druckbedingte Beschwerden zu reagieren

fehlt vollständig

- keine Reaktion auf schmerzhafte Stimuli; mögliche Gründe:

  • Bewusstlosigkeit, Sedierung oder
  • Störung der Schmerzempfindung durch Lähmungen, die den größten Teil des Körpers betreffen

stark eingeschränkt

- eine Reaktion erfolgt nur auf starke Schmerzreize

- Beschwerden können kaum geäußert werden (z.B. nur durch Stöhnen oder Unruhe)

   oder

- Störung der Schmerzempfindung durch Lähmungen, wovon die Hälfte des Körpers betroffen ist

leicht eingeschränkt

- eine Reaktion auf Ansprache oder Kommandos

- Beschwerden können aber nicht immer ausgedrückt werden (z.B. dass die Position geändert werden soll)

   oder

- Störung der Schmerzempfingung durch Lähmung, wovon eine oder zwei Extremitäten betroffen sind

vorhanden

- Reaktion auf Ansprache, Beschwerden können geäußert werden

   oder

- keine Störung der Schmerzempfindung

Aktivität
Grad der körperlichen Aktivität

bettlägerig

- ans Bett gebunden

sitzt auf

- kann mit Hilfe etwas laufen

- kann das eigene Gewicht nicht alleine tragen

- braucht Hilfe um aufzusitzen (Bett, Stuhl, Rollstuhl)

geht wenig

- geht am Tag allein, aber selten und nur ganz kurze Distanzen

- braucht für längere Strecken Hilfe

- verbringt die meiste Zeit im Bett oder im Stuhl

geht regelmäßig

- geht regelmäßig 2-3 mal pro Schicht

- bewegt sich regelmäßig

Mobilität
Fähigkeit die Körperposition zu wechseln und zu halten

komplett immobil

- kann auch keinen geringfügigen Positionswechsel ohne Hilfe ausführen

Mobilität stark eingeschränkt

- bewegt sich manchmal geringfügig (Körper, Extremitäten)

- kann sich aber nicht regelmäßig alleine ausreichend umlagern

Mobilität gering eingeschränkt

- macht regelmäßig kleine Positionswechsel des Körpers und der Extremitäten

mobil

- kann alleine seine Position umfassend verändern

Feuchtigkeit
Ausmaß, in dem die Haut Feuchtigkeit ausgesetzt ist

ständig feucht

- die Haut ist ständig feucht durch Urin, Schweiß oder Kot

- immer wenn der Patient gedreht wird, liegt er im Nassen

oft feucht

- die Haut ist feucht, aber nicht immer

- Bettzeug oder Wäsche muss einmal pro Schicht gewechselt werden

manchmal feucht

- die Haut ist manchmal feucht  und etwa einmal täglich wird neue Wäsche benötigt

selten feucht

- die Haut ist meist trocken

- neue Wäsche wird selten benötigt

Ernährung
Ernährungsgewohnheiten

sehr schlechte Ernährung

- isst kleine Portionen nie auf, sondern nur etwa 1/3

- trinkt zu wenig, nimmt keine Ergänzungskost zu sich

oder

- nur klare Flüssigkeit erhält Ernährungsinfusionen länger als 5 Tage

mäßige Ernährung

- isst selten eine normale Essensportion auf, isst im Allgemeinen etwa die Hälfte der angebotenen Nahrung

- nimmt unregelmäßig Ergänzungskost zu sich

   oder

- erhält zu wenig Nährstoffe über Sondenkost oder Infusionen

adäquate Ernährung

- isst mehr als die Hälfte der normalen Essensportion

- verweigert gelegentlich eine Mahlzeit, nimmt aber Ergänzungskost zu sich

   oder

- kann über Sonde oder Infusion die meisten Nährstoffe zu sich nehmen

gute Ernährung

- isst immer die angebotenen Mahlzeiten auf

- isst auch manchmal zwischen den Mahlzeiten

- braucht keine Ergänzungskost

Reibung und Scherkräfte

Problem

- braucht viel bis massive Unterstützung bei Lagewechsel

- Anheben ist ohne Schleifen über die Laken nicht möglich

- rutscht im Bett oder im (Roll-)Stuhl ständig herunter, muss immer wieder hochgezogen werden

potentielles Problem

- bewegt sich etwas allein oder braucht wenig Hilfe

- beim Hochziehen schleift die Haut nur wenig über die Laken (kann sich etwas anheben)

- kann sich über längere Zeit in einer Lage halten (Stuhl, Rollstuhl)

- rutscht nur selten herunter

kein Problem

- bewegt sich in Bett und Stuhl allein

- hat genügend Kraft sich anzuheben

- kann eine Position über lange Zeit halten ohne herunter zu rutschen

 
  Geringes Risiko Mittleres Risiko Hohes Risiko Sehr hohes Risiko
  18-15 Punkte 14-12 Punkte 11-9 Punkte < 9 Punkte

 

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